Bad Frankenhausen. Heinz Scharr, der am 1. Juli 1924 in Sondershausen geboren wurde und zeitlebens am Fuße der Berge zwischen Hainleite, Helbetal und der Eichsfelder Pforte tätig war, gehört zu den markantesten Persönlichkeiten der mitteldeutschen Kunstszene (Christa Hirschler), deren Lebensleistung es außerhalb des bisherigen Wirkungskreises gleichwohl erst noch zu entdecken gilt. Überschaut man sein bislang bekanntes und publiziertes Werk, beeindruckt die Geradlinigkeit einer Entwicklung, die in einer Zeit sich verschärfender Formalismusdebatten 1948 mit einem Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei so gewichtigen Lehrern wie Ernst Hassebrauk, Elisabeth Voigt, Max Schwimmer und Walter Arnold begann und vor dem Hintergrund höchst widerspruchsreicher kunstpolitischer Bedingungsgefüge von anfänglich streng realistischen Auffassungen über die Jahre und Jahrzehnte hin zu einem nahezu abstrakten Expressionismus eigenen Charakters führte, der gleichermaßen Elemente des Tachismus oder auch Informel in sich aufnahm.
Die konsequente Hinwendung zu den Möglichkeiten einer gestisch-strukturellen Abstraktion, die zunehmend bestimmend wird und insbesondere das Spätwerk des Künstlers grundlegend kennzeichnet, bedeutete indes nicht, den Bezug zur Wirklichkeit vollkommen aufzugeben. Im Gegenteil! Die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit bleibt der beherrschende Ausgangspunkt, der Wurzelgrund und das Rohmaterial seiner bildnerischen Arbeit – auch dort, wo die Form ihren Abbildcharakter sichtbar verloren hat. Mehr noch: Das ganze Universum der Natur vom Körper über die Vegetation bis zur Landschaft, gefangen im ewigen Kreislauf von Entstehen und Vergehen, von Beständigkeit und Endlichkeit, von Bewährung und Untergang bildet sein Thema, gibt ihm Anlass zu einer permanenten Analyse ihrer Beschaffenheit, ihrer Struktur, ihrer Substanz. So unerschöpflich wie die Natur in Wald und Flur, so unversieglich ist der Antrieb zu immer neuer ästhetischer Auseinandersetzung mit dem gegebenen Befund. Bei aller »Emanzipation von der direkten Abhängigkeit von der Natur« (Wassily Kandinsky) vollzieht sich bei Heinz Scharr ein permanenter Einbruch der Wirklichkeit in seine Kunst – unter selbstverständlicher Wahrung unbeschränkter Freiheit in der Wahl seiner Mittel. »Kraft der Natur« schafft er so Analogien zur Realität, schöpft Gleichnisse ihrer Stärke, ihrer Wesenskräfte, ihrer Verletzbarkeit aus innerer Übereinstimmung, ja Notwendigkeit, fixiert »Leben als Verdichtung von Energien, als Wachstum gegen Widerstände, den Urgewalten abgetrotzt« (Cornelia Nowak, Kai Uwe Schierz). In der gestischen Spontaneität des Vortrages gewinnt er Identität mit seinem Werk als Ausdruck eigener geschichtsbedingter, erlebter wie erlittener Weltbefindlichkeit, verschmilzt das Werk mit der Persönlichkeit, führt existenzielle Sinnsuche zu lustvoller Selbstentfaltung.
Aus Anlass seines 90. Geburtstages präsentiert das Panorama Museum Bad Frankenhausen eine Anthologie seines Schaffens von den achtziger Jahren bis zur Gegenwart.