Kultur

Von New York nach Artern

Veranstaltung im Gedenken an die sogenannte Reichskristallnacht vom 09. November 1938.

Die orthodoxe Synagoge Ohel Jakob in der Münchner Herzog-Rudolf-Straße nach dem Brandanschlag am 9. November 1938, Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1970-041-46 / CC-BY-SA

Die orthodoxe Synagoge Ohel Jakob in der Münchner Herzog-Rudolf-Straße nach dem Brandanschlag am 9. November 1938, Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1970-041-46 / CC-BY-SA

Artern. Bereits zum 5. Mal hatte Hedwig Bialkowski gemeinsam mit Bürgermeister Wolfgang Koenen (LINKE) am gestrigen Donnerstag zu "Gegen das Vergessen" in das Arterner Rathaus eingeladen. Die Veranstaltung findet im Gedenken an die sogenannte Reichskristallnacht vom 09. November 1938 statt. Damals inszenierten die Nationalsozialisten in Deutschland die Novemberprogrome und es begann die offenen Verfolgung der Juden in Deutschland mit dem Ziel ihrer vollständigen Vernichtung.
Begonnen wurde mit einer Schweigeminute, nach dem Frau Bialkowski die Namen der Opfer des NSU-Terrors verlesen hatte, um daran zu erinnern, dass diese Ideologie auch heute noch in einigen Köpfen sitzt. Dabei mag man sich wohl auch an den Epilog Brecht’s in seinem "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" erinnern, wo zu lesen ist: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch."

Wurde sonst von Arterner Bürgerinnen und Bürgern gelesen, lud Frau Bialkowski dieses mal den Erfurter Rabbiner Konstantin Pal ein, der über das jüdische Leben in Thüringen erzählt. Sichtlich gezeichnet entschuldigte sich dieser gleich, dass er noch ein wenig mit dem Jetlag zu kämpfen habe, da er erst vor 2 Tagen aus New York zurückgekehrt sei. Pal, 1979 in Moskau geboren und seit 2010 Rabbiner in Erfurt "wurde nach Deutschland ausgewandert", wie er es selber bezeichnete. " Mir wurde gesagt, dort gibt es Überraschungseier und Lego und so wollte ich auch mit." merkte er dazu an.

Er zeigte sich erschrocken darüber, dass es immer noch so sei, dass man sich vor Rechtsextremen schützen muss und ihm schon an der Tür ein Schild ins Auge sprang, auf dem vermerkt war, dass dieser Personenkreis keinen Zugang zu der Veranstaltung hat. Auch die Synagoge in Erfurt wird rund um die Uhr mit Kameras bewacht. Damit unterstrich er auch die Worte von Herrn Puchta, der sich besorgt zeigte, weil es Ängste bei einigen in Artern gab, das Veranstaltungsplakat auszuhängen.
1942 wurde die Jüdische Gemeinde in Erfurt von den Nationalsozialisten aufgelöst, es gab keine Mitglieder mehr. Nach dem Krieg waren es wieder über 1.000, viele gingen dann aber 1952 in den Westen. Zum Ende der DDR waren es noch ganze 26 Mitglieder, heute sind es wieder rund 500 in Erfurt. Die meisten sind zugewandert aus der ehemaligen Sowjetunion, so wie Pal auch. Was, wie er zu erzählen wusste, seine Mutter zu dem Kommentar hinreißen lies: "Da hätten wir nicht extra aus der Sowjetunion auswandern müssen, nur damit du nun am Juri-Gagarin-Ring arbeitest." Denn dort hat die Jüdische Gemeinde in Erfurt ihren Sitz.

Er ist der erste Rabbiner in Erfurt seit 1938. Wolfgang Nossen, der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde hatte ihn direkt vom Studium dort hin geholt, antwortet er auf die Frage, wie er nach Thüringen gekommen sei. Und natürlich gehe er auch in Erfurter Gaststätten, man muss ja nicht gleich Bratwurst essen. Es gäbe ja auch Fisch oder Klöße. Koscheres Essen gibt es da nicht, aber da habe auch "jeder seine Stufe der Observanz". Das sei wie in jeder Religion eben unterschiedlich.
Ebenso freimütig antwortete er auf die vielen Fragen, z.B. wie oft denn in die Synagoge gegangen wird oder ob die Kirchenbeiträge auch über das Finanzamt eingezogen werden. Dabei ging er die Themen trotz des Charakters der Veranstaltung auch humorvoll an. Ob denn die Finanzierung der Jüdischen Gemeinde ausreichend sei, wollte jemand wissen. Da wanderte sein Blick schmunzelnd zu Wolfgang Koenen. "Das können sie auch ihren Bürgermeister fragen, das Geld reicht nie, egal wieviel man hat.", ließ Pal wissen.

Spannend wurde es dann noch ein Mal zum Ende hin, als eine Frage zum Thema Beschneidung auftauchte. Er denke, so Pal, dass sich das nicht gegen die Juden richte, sondern generell gegen religiöse Bräuche. Wer sich in der Religion nicht auskenne, für den sei das sicherlich befremdlich. Für die Juden ist das aber keine Körperverletzung, sondern die Herstellung der Verbindung zu Gott. Man mache das seit Jahrtausenden so und werde das auch weiter machen und wenn es illegal werden sollte, werde man das eben dann illegal weiter machen.
So streitbar das Thema sicher auch sein mag, an diesem Abend wurde es dann aber nicht weiter vertieft.

Torsten Blümel

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